Tradition und Handwerkskunst: Die Wiener Sachertorte und der Klavierbau

Eine Ode an den Klavierbau von Klavierbaumeisterin Isabella Hahn

Wien ist weltweit bekannt für seine kulinarischen und musikalischen Meisterwerke. Unter den vielen Symbolen, die das einzigartige Flair dieser Stadt prägen, stehen der Wiener Walzer und die klassische Musik wie kaum etwas anderes für die Seele Wiens. Doch es gibt eine andere, süße Versuchung, die mindestens genauso berühmt ist: die Sachertorte – ein Genuss mit Weltruhm.

Ein süßes Meisterwerk: Die Kunst der Sachertorte

Die Herstellung einer Sachertorte ist kein einfaches Unterfangen, sondern eine Kunst, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Jedes Detail der Rezeptur muss akribisch befolgt werden, angefangen bei der richtigen Menge der Zutaten bis hin zur genauen Reihenfolge ihrer Kombination. Eier müssen geschlagen, Butter und Zucker sorgfältig vermischt werden. Ein falscher Schritt, die falsche Temperatureinstellung oder Backdauer, kann das ganze Vorhaben zum Scheitern bringen.

Ich verwende für meine Sachertorte das Rezept meiner Mama. Dieses Rezept wurde von ihrer Großmutter überliefert, die es wiederum von ihrer Mutter geerbt hatte – ein kostbares Erbe in Form eines alten, handgeschriebenen Kochbuchs voller Notizen und Verbesserungsvorschläge der vorherigen Generationen. Franz Sacher, Schöpfer der Sachertorte, würde über die Weiterentwicklung seines Rezeptes vermutlich staunen.

Präzision und Handwerkskunst: Der Bau eines Klaviers

Ebenso wie die Sachertorte ist auch das Klavier ein Meisterwerk, das Handwerkskunst und kreative Vision vereint. Am Anfang steht stets ein gutes, oft sogar geheimes Grundrezept – in diesem Fall die präzise Konstruktionszeichnung. Diese Zeichnung ist das Ergebnis jahrhundertelanger Erfahrung im Klavierbau, ergänzt durch innovative Ideen und neuer Generationen.

Ausgehend von der zentralen Frage: „Was soll das Instrument leisten?“ wird die Saitenmensur festgelegt und statische Berechnungen durchgeführt. Am Reißbrett fließen alle Überlegungen zusammen und nehmen erstmals die konkrete Gestalt eines Klaviers an. Doch bis der erste Ton erklingt, ist es noch ein weiter Weg.

Zuerst wird das Grundgerüst des Instruments, die Rastenkonstruktion, gebaut. Auf die dicken Balken aus Fichte werden der Resonanzboden und der Stimmstock aufgeleimt. Der Resonanzboden ist eine etwa 1 cm dicke, gefügte und verleimte Fichtenholz-Platte, auf dem der so genannte Resonanzbodensteg aufgeleimt und verschraubt wird. Der Steg hat die Aufgabe, die Schwingungen der Saiten auf den Resonanzboden zu übertragen, wo die Schallwellen durch den Boden verstärkt werden. Anschließend wird der Gussrahmen im Instrument positioniert, eingepasst und mit Stützschrauben mit den Rastenbalken verschraubt. Rastenbalken und Gussrahmen müssen gemeinsam die enorme Zugkraft der durchschnittlich 230 Saiten aufnehmen können. Diese variiert je nach Modell und Größe des Instruments und kann bis zu zwanzig Tonnen betragen.

Sobald die Position des Gussrahmens feststeht, wird der Stimmstock gebohrt. Hier werden anschließend die Stimmnägel mit den Saiten eingeschlagen. Am anderen Ende werden die Saiten am Gussrahmen auf sogenannten Anhangstiften fixiert und auf Zug gebracht. Damit das Instrument die Stimmung hält, muss es im gesamten Herstellungsprozess mehrfach gestimmt werden.

Nach Abschluss der Arbeiten am Korpus – bestehend aus der Rastenkonstruktion, der Spiellade beziehungsweise dem Stuhlboden, und der Oberfläche – sowie an der Klanganlage, die Stimmstock, Resonanzboden, Steg, Gussrahmen und Saiten umfasst, wird die Mechanik zusammengesetzt und an ihrer vorgesehenen Position eingebaut.

Die Mechanik umfasst alle Elemente, die zur Bewegung des Hammerkopfes führen – von der einzelnen Taste bis hin zum Hammerkopf. Dabei müssen Hebel- und Übersetzungsgesetze berücksichtigt werden, um den Spielimpuls optimal von der Taste bis zur präzisen Anschlagslinie, also der Stelle, an der der Hammerkopf die Saite berührt, zu übertragen. Diese physikalischen Gesetze werden bereits in der Konstruktionszeichnung festgelegt, da sie sowohl das Spielgefühl als auch die Klangerzeugung maßgeblich beeinflussen und nachträglich nur minimal angepasst werden können.

Sobald die Mechanik exakt positioniert ist, werden die Hammerköpfe anhand der Proben verleimt, die Dämpfung gesetzt und die Mechanik vorreguliert.

Wer glaubt, der Prozess sei an diesem Punkt abgeschlossen, liegt falsch. Nun folgt die Feinregulierung und die endgültige Klanggestaltung. Die Hammerköpfe werden mit kleinen Feilen millimetergenau an die Saitenebene angepasst, sodass ein Kopf bis zu drei Saiten gleichzeitig und exakt im selben Moment berührt. Diese Präzision sorgt für eine gleichmäßige Impulsübertragung, die sich direkt auf die Klangqualität auswirkt.

Nachdem die Hammerköpfe korrekt auf der Saitenebene positioniert sind, beginnt das sogenannte „Intonieren“. Dabei wird die Klangfarbe des Instruments durch gezielte Bearbeitung des Hammerkopffilzes mit feinen Nadeln beeinflusst. Durch das Einstechen in unterschiedliche Bereiche des Filzes verändert sich die Struktur, was den Forte-, Mezzoforte- und Pianoklang individuell formt. Die Klangbereiche können einzeln oder in Kombination angepasst werden. Dieser Schritt verleiht jedem Instrument seinen einzigartigen Klangcharakter und perfektioniert das Spielerlebnis.

Klavierrezept und Sachertortenbau?

Im Schnitt dauert die Herstellung eines Instrumentes in der Fabrik bis zu neun Monaten, für händisch gearbeitete Instrumente bis zu einem Jahr, also doch wesentlich länger als eine Sachertorte. Die richtige Nachbetreuung dieser kostbaren Schöpfung ist dabei ebenso wichtig wie die Herstellung und sichert einen langen Genuss des liebgewonnenen Instrumentes.

Denn: So unterschiedlich Sachertorte und Klavierbau auf den ersten Blick erscheinen mögen, teilen sie doch eine gemeinsame Grundlage: die harmonische Verbindung von Tradition und meisterhafter Handwerkskunst. Beide sind das Ergebnis sorgfältiger Planung, kreativer Visionen und dem unermüdlichen Streben nach Perfektion – Werte, die auch das Klavierhaus Förstl tagtäglich lebt.


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